22.10.2011 – Von Shigatse nach Chengdu

Wir hatten eine gute Nacht, aber leider war sie früh zu Ende. Gerne hätten wir noch etwas weiter geschlafen, aber wir mußten bereits um kurz vor 6 aufstehen, da noch Koffer zu packen waren. Heute ging es nach Chengdu. Um dorthin zu gelangen, müssen wir einen Flug von Lhasa aus nehmen, was bedeutete, dass wir von Shigatse erst einmal mit dem Bus nach Lhasa fahren mußten. Also hieß es für die Deutsche Gruppe von Herrn Tang und Yuke, früh aufzustehen.
Doch wir hatten ja keinen Erholungsurlaub gebucht, also schafften wir auch das frühe aufstehen und waren Punkt 7 unten im Frühstücksraum, der gerade erst geöffnet wurde.

Es war sehr kalt im Frühstücksraum. Selbst die Angestellten des Hotels liefen in dicken Daunenjacken umher. Leider war es aber so früh, dass noch nicht alles auf dem Buffet ausgebreitet war. Doch wir wurden auch so satt. An Hunger musste auf dieser Reise noch keiner leiden.

Gegen 7 Uhr 35 verlassen wir das Hotel und wollen den Bus besteigen. Aber zunächst sind wir überrascht, wie neblig es ist. Selbst Yuke ist erstaunt, dass wir heute Nebel haben. Die Scheiben des Busses sind auch noch vollkommen beschlagen und müssen erst einmal sauber gemacht werden, bevor wir losfahren können. Unser Busfahrer, dessen Namen wir noch immer nicht kennen, ist darin aber sehr versiert und hat den Bus innerhalb weniger Minuten fahrtüchtig gemacht und unser Gepäck verstaut.

Während der Bus sich langsam und vorsichtig durch die Straßen Shigatses bewegt, erzählt uns Yuke, dass sich Tibet in den letzten 10 Jahren sehr verändert hat. Das alte Tibet ist schon so gut wie verschwunden, man merkt dies am deutlichsten daran, dass es kaum noch Hunde in den Klöstern und auf den Straßen der Städte gibt und auch daran, dass kaum noch Pilger auf den Straßen unterwegs sind, die sich im Gebet zu Boden werfen.

Wir haben heute 260 Kilometer zu fahren, was angesichts der dicken Suppe draußen ein schwieriges Unterfangen werden könnte. Die Sichtweite beträgt nur knappe 13 Meter. Man sieht keine Straßen und von der Umgebung ganz zu schweigen. Es ist ein Wunder, dass der Busfahrer den Weg findet. Auch nach einer Stunde Fahrt ist der Nebel unverändert dicht. Der Fahrer muss sehr vorsichtig fahren. Die Scheiben sind auch von innen beschlagen. Unser Fahrer kann kaum etwas sehen. Wir können uns nur wundern und sind auch ziemlich erschrocken darüber, wie riskant die anderen Autos unterwegs sind und welche Überholmanöver hier selbst bei diesem Wetter und unübersichtlicher Straße gefahren werden.

Ein riskantes Überholmanöver unserer Busfahrers sorgt beinahe dafür, dass wir im Graben landen, doch gerade eben noch zieht er seinen Überholversuch zurück und schert wieder hinter einem langsame Lkw ein.
Herr Tang versucht uns währenddessen die tibetischen Feste etwas näher zu bringen.
Gegen 9 Uhr hat die Sonne endlich genügend Kraft und schiebt sich über die Berge, mit ihren warmen Herbststrahlen vertreibt sie den Nebel und wir erkennen, dass wir durch ein wunderschönes Tal fahren. Am Horizont haben die Berge alle eine weiße Mütze aufgesetzt bekommen. Über Nacht scheint etwas Neuschnee gefallen zu sein.

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Herr Tang berichtet uns vom Fest zur Freilassung gefangener Tiere.
Wir fahren durch einige Schluchten, unter anderem die Kleine Bramaputra Schlucht. Unterwegs sehen wir viele Brücken- und Tunnelbauten für eine neue Eisenbahn, die nach Zedang führen soll.
Wir sehen kurz nun doch ein paar Pilger, die auf der Straße in dieser Schlucht unterwegs sind und sich direkt neben den nicht eben langsam fahrenden Autos zu Boden werfen und ihre Gebete sprechen.

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Die Schlucht haben wir bereits hinter uns gelassen und sind nun wieder auf staubiger Landstraße unterwegs, als Herr Tang wieder zum Mikrofon greift und und das nächste tibetische Fest etwas näher bringen will, nämlich das Badefest, welches eine 900 Jahre alte Tradition hat.

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Irgendwie wirken diese Erklärungen etwas einschläfernd, kaum einer hört richtig zu. Doch plötzlich sind alle wach, als nämlich mitten auf unserer Spur ein Landrover uns entgegenkommt und nicht auf seine Spur zurück will. Der Busfahrer versucht nach rechts auszuweichen, doch da ist auch nicht viel Platz. Plötzlich zieht der Landrover nach links und zischt an unserem Bus vorbei. Dieser Fahrer war entweder lebensmüde oder betrunken. Eine andere Erklärung haben wir nicht.
Aufgrund von Geschwindigkeitsbegrenzungen muss der Bus immer an bestimmten Polizeistationen halten und sich einen Zettel abholen, auf dem die Zeit vermerkt ist. Damit soll verhindert werden, dass die Autofahrer auf diesen langen einsamen Straßen zu schnell fahren und Unfälle verursachen.

Gegen 12 Uhr essen wir zu Mittag in einem kleinen Restaurant gegenüber des Flughafens. Es gibt Szechuan Küche, die wieder sehr lecker ist. Nach dem Essen bereitet uns Yuke auf der Dachterrasse des Restaurants noch eine Teezeremonie zu, die wieder sehr schön ist. Herr Tang ist auch hierzu eingeladen, immerhin ist es der letzte Tag mit ihm, doch er ist zu sehr mit seinem Handy und der Organisation der nächsten Gruppe beschäftigt.

Zeitig fahren wir dann, trotz zunächst zugeparktem Bus, hinüber zum Flughafen, der wirklich nur 2 Minuten mit dem Auto entfernt ist. Wir verabschieden uns von Herrn Tang und dem Busfahrer und schnappen unsere Koffer und gehen in die Abfertigungshalle. Einchecken und Boarding ist sehr pünktlich, einzig der Start verzögert sich um ein paar Minuten. Vielleicht liegt das daran, das die Fluglinie, mit der wir nach Chengdu fliegen werden, erst seit dem 26. Juli diesen Jahres in Betrieb ist, nämlich Tibet Airline. Es gibt bislang nur 3 Flugzeuge, alle vom Typ A319 die in Hamburg bei Airbus gefertigt werden.

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Während des Fluges ist das Personal an Bord super nett und zuvorkommend.
Das Flugzeug fliegt über die Berge, wir sehen die Himalaya-Kette, schneebedeckt, einfach sensationell!
Yuke hat extra Essen für uns bestellt, einen Obstteller, da wir heute Abend in Chengdu essen wollen.

Beim Blick aus dem Fenster empfinden wir, dass es einfach ein Traum sein muss, diese Strecke über die Berge fliegen zu dürfen.
Ich hänge mit meiner Videokamera die meiste Zeit über Franks Schoss und filme aus dem Fenster des A319 die Berge und Wolken, über die wir hinweggleiten. Es ist irgendwie unwirklich. Vor allem als wir uns Chengdu nähern, ändert sich das Wetter. Wir fliegen unter einer Wolkenschicht und schauen auf die Gipfel von Bergen herab, die in einem Meer aus Watte versunken scheinen. Das diffuse Licht macht das ganze noch etwas mystischer.

Auf der Anzeige im Flugzeug steht, das wir um 17 Uhr 57 landen sollen. Doch mit jeder verstreichenden Minute ändert sich das. Aufgrund einer immens dichten Wolkendecke über Chengdu dauert unser Landeanflug noch bis 18 Uhr 16, dann erst senkt sich der Flieger hinab und fährt das Fahrgestell aus. Gegen 18 Uhr 30 sind wir am Boden und in Parkposition. Es scheint mir fast, als haben die meisten Chinesen einen inneren Sensor eingepflanzt bekommen, denn noch bevor das Anschnallzeichen erlischt, geht ein maschinengewehrartiges Klicken durch den Flieger und signalisiert das Lösen der Anschnallgurte. Ein paar Sekunden später ertönen auch schon die ersten Handy-Startmelodien und die Leute springen auf und öffnen die Gepäckboxen über den Sitzen. Es wird laut in der Maschine, chinesisches Stimmengewirr und die wieder stärker werdende Lüftung des Flugzeugs verursachen einen Lärm, der einen nur schnell herauseilen möchte. Die Chinesen drängen von hinten schon an unserem Sitz vorbei. Von Ruhe und Geduld und vor allem etwas Höflichkeit beim Aussteigen scheinen sie nicht viel zu halten. Ich bin mir nicht sicher, ob es einfach nur ein Generationenproblem ist, denn die meisten der Passagiere hier sind relativ jung, oder ob es eine chinesisches Charakterstudie ist. Yuke würde wohl sagen, es ist letzteres, denn aufgrund der riesigen Bevölkerung haben die Chinesen gelernt, sich mit den Ellenbogen Platz zu verschaffen und sie haben auch kein Problem damit, wenn sie ebenso behandelt werden.

Sibylle schafft es, sich aus dem Sitz zu zwängen und vor zwei junge Chinesinnen zu schieben, die sich unbedingt von hinten vor uns drängen wollten. Sie hält mir und Frank den Platz frei, so dass wir aus unseren Sitzen kriechen können. Frank übernimmt dann ihren Platz, so dass unsere Mitreisenden von der gegenüberliegenden Sitzreihe ebenfalls unbeschadet aus den Sitzen kommen und wir gemeinsam das Flugzeug verlassen können, ohne von den Chinesen bedrängt zu werden. Leider gibt es auch hier wieder keinen Finger zum Terminal, so dass wir wieder mit dem Bus zum Flughafengebäude fahren müssen.

Im Terminal am Gepäckband zeigt sich die chinesische Mentalität noch einmal. Es ist sehr wuselig und wir müssen uns ebenso mit den Ellenbogen und etwas forschem Auftreten Platz verschaffen, sonst würden unsere Koffer am Gepäckband an uns vorbeigleiten. Nachdem wir alle unsere Koffer haben, geht es hinaus aus dem Flughafen. Wir werden in der Ankunftshalle schon von einem jungen Chinesen erwartet, der sogleich von Yuke begrüßt wird. Er führt uns zu unserem Bus und lässt uns einsteigen. Kaum haben wir den Flughafen verlassen, stellt er sich uns mit Namen Jilly vor.

Jilly ist etwa 35-40 Jahre alt, hat sehr kurzrasierte Haare und trägt eine modische Brille. Jilly spricht perfektes Deutsch! Wir wünschen uns, wenigstens ein drittel von dem Chinesisch zu können was er auf Deutsch sprechen und verstehen kann. Später erfahren wir von ihm, dass er in China Deutsch studiert hat und danach nach Deutschland gegangen ist, um dort BWL zu studieren.

Aber erst einmal nutzt Jilly die Zeit der Fahrt zum Hotel damit, uns etwas mehr über die Gegend Szechuan zu erzählen. Szechuan ist bekannt dafür, dass die Menschen hier sehr scharfes Essen zu sich nehmen. Chili, Knoblauch, Ingwer und der berühmte Szechuan Pfeffer, der eigentlich kein richtiger Pfeffer ist, gehören in jedes Essen. Wir haben in Tibet ja auch zwei Mal Essen genossen, das auf diese Art zubereitet war, und wir waren begeistert gewesen.

Wir fahren über die Autobahn und obwohl es schon dunkel geworden ist, können wir dank der vielen Leuchtreklame an den Häusern sehr gut erkennen, dass wir durch viele Neubaugebiete fahren. Dies nutzt Jilly, um uns etwas über Chengdu zu erzählen. Die Innenstadt von Chengdu hat etwa 6 Millionen Einwohner. Die Menschen hier reden sehr laut, wie Jilly zugibt.

Das Klima in Szechuan und speziell in Chengdu ist ein totaler Kontrast zu Tibet. Dort hatten wir um die 18 Prozent Luftfeuchtigkeit, hier 70 bis 80 Prozent.

Ich weiß nicht mehr wieso, aber irgendwie ist Jilly auf das Thema Eigentumswohnung gekommen. Er berichtet uns, das die Bewohner von Chengdu und auch in vielen anderen Großstädten Chinas, schon in jungen Jahren Eigentumswohnungen kaufen. Dieser Kauf ist aber eigentlich nur ein Pachtvertrag, denn nach 70 Jahren erlischt der Kaufvertrag und muss verlängert werden. Durchschnittlich halten chinesische Gebäude normalerweise nur ca. 35 Jahre, dann werden sie abgerissen und es wird neugebaut. Vom Kauf einer Wohnung bis zum endgültigen Einzug kann sehr viel Zeit vergehen, denn zunächst wird nur der Rohbau der Wohnung gekauft, die ganze Inneneinrichtung muss auch noch angespart werden.

Heutige junge Chinesinnen sind sehr materialistisch veranlagt, zumindest wenn man Jilly glauben kann. Für die jungen Frauen sind Statussymbole sehr wichtig. Ein Mann muss eine Eigentumswohnung haben, oder ein dickes Sparbuch und einen Autoschlüssel. Autoschlüssel ist sehr wichtig, nicht bloß der Besitz des Führerscheins. Doch ich mag nicht glauben, dass alle Chinesinnen so sind. Immerhin hat Jilly seine Frau auch bekommen, bevor er Eigentumswohnung hatte und ein Auto besitzt er ja auch nicht. Überhaupt ist Jilly ein kleiner Chauvinist, der damit kokettiert, eine Hauptfrau und einige Konkubinen zu besitzen. Wie viel davon wahr ist, können wir nicht beurteilen. Jilly berichtet ebenfalls, dass es für Reiseleiter zur Pflicht gehört, mindestens 1 Jahr in Tibet gearbeitet zu haben. So wie er das rüber bringt, klingt es für mich wie eine Strafe. Ich kann verstehen dass es hart ist, von seiner Familie getrennt zu sein, aber so wie er darüber erzählt, ist es das Land Tibet was ihm nicht gefällt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir am Hotel angekommen. Die Stadt Chengdu ist wirklich sehr groß und im Moment wünschen die meisten sich nach Tibet zurück. Dort die tiefe Ruhe und innere Gelassenheit, auch wenn die Tibeter ebenso sehr unruhig sein können, hier dagegen Hektik und Stress pur. Einfach, weil hier so viel mehr Chinesen leben als Tibeter in Tibet.

Wir gehen kurz auf die Zimmer und machen uns frisch. Eine halbe Stunde später geht es dann zu Fuß in ein Restaurant, welches Yukes Frau Diane ausgesucht hat. Das Essen ist exzellent und wir werden alle satt und genießen den schönen Abend!

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