Diese Nacht hat sich schon sehr von der letzten Nacht in Tibet unterschieden. Auch wenn die Betten nicht ganz so hart waren, so ist der Lärmpegel vor dem Hotel doch um einiges lauter. Das gleiche Bild bietet sich uns im Frühstücksraum. Hier ist es extrem wuselig, viele Chinesen rennen herum und drängeln sich beim Rührei und dem Toast zwischen uns. Sie kennen einfach keine Geduld und keine Manieren. Es ist auch schwierig, einen halbwegs sauberen Tisch zu bekommen.
Zu viert setzen wir uns schließlich an einen Tisch, der gerade freigeworden ist. Wir haben den Eindruck, dass auch die Angestellten in diesem Hotel nicht ganz so motiviert sind, wie man das erwarten kann. Wir müssen schon sehr insistieren, um sauberes Besteck und heißen Kaffee und Tee zu bekommen. Michi, Martina, Sibylle und ich wählen meist immer ein Eiergericht, Toast und Obst. Andere aus der Gruppe waren da anpassungsfähiger und haben sich auch mit den chinesischen Frühstücksspezialitäten begnügt.
Nach dem Frühstück brechen wir mit dem Bus auf zur Panda Aufzuchtstation. Der Weg dorthin dauert etwa 45 Minuten.
Wir fahren durch die riesige Stadt Chengdu. Zum Glück ist Sonntag, denn sonst hätten wir starken Verkehr zu erwarten. Aber die Straßen sind größtenteils so frei, dass man flüssig fahren kann. Nur an ein paar Stellen kommt es zum Stau.
Heute morgen hält Jilly sich zurück. Gestern Abend hat er geredet wie ein Wasserfall, heute morgen überlässt er Yuke die meisten Erklärungen. Yuke berichtet uns, das in der Station etwa 100 Pandabären leben. Sie befinden sich dort zu Forschungszwecken. Vor kurzem wurde etwa ein Dutzend Pandas geboren, aber wahrscheinlich werden wir sie nicht zu Gesicht bekommen.
Die Zeit zur Aufzuchtstation nutzen dann Jilly und Yuke abwechselnd, um uns etwas mehr über das chinesische Leben zu erzählen. Jilly berichtet von der Teezeremonie, die wir mit Yuke nun schon einige Male genossen haben. Er erklärt uns den Unterschied zwischen dem Teekonsum im Park, wo man sich nur trifft und Informationen austauscht und dabei seinen Tee trinkt, und einer echten Zeremonie, wo bereits das Zubereiten des Tees zelebriert wird. Eine professionelle Zeremonie in einem Teehaus ist sehr teuer. Auch kennen die jungen Leute gar keine Teezeremonien mehr, sie sind Teil der Coca-Cola Generation und orientieren sich in ihrem Wesen und den Vorbildern an den USA. Alte Werte gehen verloren, was man besonders daran sieht, dass alles alte abgerissen wird und neue Bauten erschaffen werden, die alle Städte gleich aussehen lasse.
Materialismus ist für Chinesen sehr wichtig geworden, die alten Werte gehen verloren. Das äußert sich im Mahjongg Spiel, wo der Geldeinsatz sehr wichtig ist ebenso, wie in der Attitüde junger Chinesinnen. Ein bekannter Spruch lautet: Lieber weinen im BMW als lachen auf einem Fahrrad! China hat sich sehr verändert. Als Sibylle und ich 2006 das erste Mal gemeinsam in China waren hieß es, dass man einen VW Golf als Konkubinenschleuder bezeichnete, heute ist dies bereits die Bezeichnung für einen Porsche Cayenne, weil einfach der Verdienst und die Ansprüche gestiegen sind, und zwar sehr rasant!
Die Unterschiede zwischen Arm und Reich nehmen in China, wie auch im Rest der Welt, immer mehr zu. Die Mittelschicht verschwindet immer mehr. Man findet kaum noch Fahrräder auf den Straßen aber jede Menge dicker Autos und für die einfacheren Menschen Elektroroller.
Aber es wird nicht nur über ernst Themen im Bus geredet, Jilly lässt auch manch lockeren Spruch los. Und Yuke klärt uns dann mit anderen Fakten auf, etwa dass China 2 Grenzen zwischen Norden und Süden kennt, nämlich zum Einen den Quinan Fluss und zum zweiten das Essen. Männer aus dem Norden kochen weniger als Männer aus dem Süden Chinas.
Gegen 9 Uhr 30 kommen wir an der Aufzuchtstation an. Ich war etwas blauäugig, denn ich hatte nicht mit so einem Auflauf gerechnet. Es stehen unzählige Touristenbusse auf dem Rondeel vor dem Eingang. Unser Busfahrer lässt uns kurz aussteigen und fährt dann wieder fort. Ich weiß nicht, wo er die nächste Zeit verbringt.
Wir betreten den Park und wandern unter Alleen aus Bambus entlang. Lange Zeit sind die einzigen Pandas, die wir sehen, künstliche Statuen, die im Grünen aufgestellt und angemalt wurden. Erst als wir den ersten Abzweig nehmen, der zu den Pandabären zeigt, wird es auf den Wegen voller. Der erste Panda ist zwar sehr groß, dreht uns aber nur sein Hinterteil zu und schläft. Er lässt sich von den lauten Touristen vor seinem Auslauf nicht beirren und schläft weiter.
Wir schießen ein paar Fotos und gehen dann weiter.
Kurze Zeit später sind wir an der zweiten Station und können nicht glauben, was wir dort hinter dem Graben auf einer Grünfläche sehen. Dort liegen etwa 12 winzig kleine, kuschelig, weiße Pandabären mit schwarzen Flecken und schlafen.
Die Kameras werden gezückt und die beste Position für ein Foto gesucht. Leider sind wir nicht allein, so dass es etwas schwierig ist, ein gutes Foto zu machen. Wir verbringen sehr viel Zeit an dieser Station und beobachten, wie ein Pfleger in einem blauen sterilen Anzug aus einem Häuschen herauskommt und sich einen der winzigen Pandaknäuel packt und zu untersuchen beginnt. Es ist zu süß zu sehen, wie der Pfleger oder die Pflegerin dem Pandababy den Bauch krault und ihn so versucht zu animieren, etwas Stuhlgang zu produzieren. Ein Pandababy nach dem anderen wird gegriffen und auf die gleiche Art versorgt. Manche Babys schlafen einfach weiter, andere sehen in dem Pfleger ihr Elternteil und versuchen etwas zu schmusen. Wir mögen uns gar nicht lösen von diesem Anblick, doch Yuke und Jilly drängen dann doch zum weitergehen.
Die nächsten Stationen sind zwar nett, aber keine kommt mehr an dieses Ereignis ran. Yuke sagt, dass er sowas auch noch nie erlebt hat und wir unwahrscheinliches Glück hatten, die Neugeborenen so im Freien zu sehen.
Wir gehen noch etwas weiter und sehen noch drei Pandas im Baum schlafen und wir fragen uns, wieso sie nicht vom Baum fallen, so verrenkt wie sie dort liegen. Zum Abschluss sehen wir dann noch ein paar rote Pandas, die aber eigentlich eher aussehen wie ein Luchs oder Mader, aber zur gleichen Familie wie die Pandabären gehören.
Gegen 12 Uhr verlassen wir den Park und fahren zurück nach Chengdu. Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir die Altstadt. Hier besichtigen wir eine neu aufgebaute Straße, die nach altem Vorbild aufgebaut wurde. Die Gebäude sehen zwar sehr schön aus, aber hässlich ist, dass in jedem dieser alten Häuser ein hochmodernes Geschäft ist. Die ganze Gasse wirkt wie eine Touristenfalle und bekommt von uns den Namen Drosselgasse verpasst.
Wir essen hier zwar zu Mittag, sind aber dennoch froh, wieder heraus zu kommen und uns dem nächsten Tagespunkt widmen zu können.
Es ist bereits 15 Uhr, als wir 10 Langnasen uns auf den Weg machen, in einem öffentlichen Park eine Teezeremonie abzuhalten. Natürlich fallen wir auf, auch in dem großen Park, dem Volkspark von Chengdu. Es ist schwierig, hier einen Tisch zu finden, an dem wir alle sitzen können, denn heute ist Sonntag und die Chinesen genießen ihren freien Tag. Schließlich finden Yuke und Jilly zwei Tische, an denen wir Platz nehmen können und wir beginnen mit der Zeremonie. Der Tee ist ganz in Ordnung, doch mir persönlich ist es hier in dem Park zu wuselig. Die Zeremonien, die Yuke für uns durchgeführt hat, haben mir besser gefallen.
Wir treffen noch auf eine chinesische Deutschlehrerin, die sich an den Nachbartisch zu Yuke, Vera, Uwe, Gabi, Winnie, Rita und Frank setzt. Bei uns sitzen Diane und Jilly. Nach der Zeremonie gehen wir noch ein wenig im Park spazieren. Es ist schön zu sehen, dass bestimmte alte Traditionen noch nicht ausgestorben sind, wie zum Beispiel der öffentliche Tanz im Park. Wie schon auf unserer China Reise 2008 kommen wir zu einem öffentlichen Platz, auf dem viele Chinesen, vor allem ältere Menschen, zu einer Musik tanzen, die für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig ist. Doch das hält Winnie und Gabi sowie Uwe und Vera nicht davon ab, sich unter die Menschen zu mischen und mitzutanzen, wie 2008. Auch Rita wird von einer Chinesin an der Hand gepackt und auf die Tanzfläche gezerrt. Auch wir Fotografen und Filmer haben viel Spaß an der Aktion, obwohl wir nur am Rande stehen und beobachten.
Auf dem Weg zum Ausgang treffen wir dann auf einen alten Mann, der mit einem großen Pinsel und Wasser wunderschöne kalligraphische Zeichen auf den Boden malt.
Nach dem Park geht es zu einem Taoistenkloster.
Leider ist es schon sehr spät am Nachmittag, so dass wir etwas gehetzt durch die Klosteranlage gehen. Jilly ist auch nicht mehr so kommunikativ wie noch am Vorabend. Vielleicht fotografieren und filmen wir zu viel und halten den Ablauf zu sehr auf. Aber das hätte Yuke ihm eigentlich sagen müssen. Wir besichtigen den Schwarzer Ziegen Palast, die Lingzu Hall und die Hunyuan Hall. Die Gebäude selber sehen wunderschön aus. Erst jetzt wird mir klar, dass der Taoismus eine sehr interessante Philosophie ist und eigentlich das verkörpert, was mir an China immer so gefallen hat. Die Beziehung zwischen Ying und Yang ist faszinierend. Yuke erklärt, dass der Taoismus eine Lehre ist, die weg vom weltlichen geht. Der Taoismus ist auf Langlebigkeit ausgerichtet, auf die Unsterblichkeit. Dagegen ist der Konfuzianismus eine Philosophie, die auf den einzelnen Menschen zu geht und versucht, praktische Anwendungen zu finden. Er geht in die menschliche Gesellschaft hinein.